Der Kasseturm und ein Musikerleben

von Michael Roetsch

Mittlerweile zählt der liebevoll auch „Dicke“ genannte Kasseturm schon 50 Jahre. Klar, das runde Gemäuer ist wesentlich älter und ist ein Wahrzeichen der Klassikerstadt Weimar, aber der Studentenclub als solcher, ist jetzt in den besten Jahren angekommen. Seit fast Dreijahrzehnten begleitet mich der „Dicke“ und ich ihn und ich werde auch bald 50 Jahre.

Alles fing vor 32 Jahren an, als ich ein lebensdurstiger Jugendlicher war und der Kasseturm nebst Schützen-gasse und Jacob für mich die angesagteste Adresse wurde, wenn es um Musik ging. Allerdings war es nicht gerade einfach als Nichtstudent, denn ich war noch Schüler, in die geweihten Gemäuer zu gelangen, doch hin und wieder fand sich ein begehrter Student oder besser noch, eine gut aussehende Studentin mit dem magischen Papier, die mich mit hineinnahm, in den heiligen Keller und die seeligen Säale, denn hier spielte sich das musikalische Leben dieser Stadt ab. Hier lernte ich durch Ulrich Gumpert, Conny Bauer und Bajazzo den Jazz kennen...hier hörte ich unglaubliche Musik von Christoph Theusner & Bayon...hier sah ich mir die ersten Licks vom großen Jürgen Kerth ab und hier tanzte ich wild und hemmungslos zur Musik von Waldis Collage und den Weimarer Bluesbands Frachthof und Knuff...

Mein Traum war geboren, eines Tages so sagte ich meinen Freunden, Leute eines Tages werde ich auch hier spielen, doch die winkten nur müde ab und belächelten mich armen Utopisten. Dennoch, wem es einmal packt, der läßt nicht mehr locker und so ging ich ans Musikerwerk und tatsächlich im Jahre 1984 war es dann soweit. Mit der jungen Bluesband Mop war ich das erstemal als Musiker im Kasseturm zu Gast. Im Herbst 1986, als unser Musiktheater 1. Versuch Conversation Total ihr im Turm geplantes Einstufungskonzert geben wollte, kam es zu einigen Schwierigkeiten mit der damaligen Clubleitung, die wohl vom Stadtkultur-kabinet und der Staatsgewalt die undankbare Aufgabe bekommen hatte, unser Konzert ausfallen zu lassen. Doch wir ließen nicht locker und beschwerden uns an der richtigen Stelle beim Stadtkulturkabinet Weimar. Daraufhin wurde uns dann doch das Konzert genehmigt, welches wir mit dem Titel „hervorragendes Volkskunstkollektiv - Qualitätsstufe I“ erfolgreich ablegten. Drei Jahre später, die DDR lag bereits im Sterben, fand am 4. Oktober die Einstufung unserer Band Partisan statt, zu der aber das Publikum keinen Zutritt gewährt wurde. Nur nach langanhaltenden Protest der Leute, durften diese dann mit Verspätung den Saal betreten. Wir bekamen die Oberstufe zu erkannt, welche uns dann aber drei Tage später, genau am 40. Jahrestag der DDR im Klub „Erich Weinert“ in Berlin wieder entzogen wurde (Auftrittsverbot).

Dann kam was kommen mußte. Der Eine trat zurück, der andere sagte uns, das er uns doch alle lieb habe, dann trat wieder einer zurück und dann kamen Coca Cola und gut angezogene Herren und schenkten uns die Freiheit. Und im eben diesem Jahr 1990, war ich gleich zweimal musikalischer Gast beim äußerst beliebten Kasseturm Open Air. Einmal mit besagter Band Partisan, zum zweiten mit der im Jahr zuvor gegründeten Band Blinder Gehorsam, die Dank mehrerer großer Konzerte im Turm zur Kultband avancierte. Eine schöne Erinnerung für mich ist der Sommer 1992, wenn ich mich recht erinnere. Mit dem bunt zusammen gewürfelten Projekt The Summertime Fungroovers spielten wir die gesamte Ferienzeit durch. Jeden Abend hatten wie ein anderes Thema. Der Musiksaal wurde in ein Strandbad umfunktioniert. Es gab Sand, Klappstühle, Sonnenschirme, guten Tequila und reichlich Bluesmusik untermalt von witzigen Gags. Ich glaube damit war der Kasseturm sehr vorrausschauend, erst Jahre später entstanden in den Großstätten der Republik, die heute allseits beliebten Stadtstrände. Seit dieser Zeit bin ich regelmäßig als Musiker im Dicken tätig. Ob mit Blinder Gehorsam, den Dolly Bastards, der Kasseturm-Bluesband, Bullfrog-Blues und anderen Projekten.

Als im Jahre 1998 der äußert beliebte und bekannte Drummer Wolfgang „Ringo“ Stilke starb, beschloßen die Freunde von Ringo, einmal im Jahr und zwar immer den ersten Montag im November eine gemeinsame Party zu feiern. Seit 1999 findet diese nun regelmäßig statt und erfreut sich bei Musikern und Fans gleichermaßen. Zum festen Bestandteil dieser Session gehören mittlerweile Musiker von Bayon, Bullfrog-Blues, Blamu, Kani & Polyphon, Hot String, Postel & Pötsch, HAC., Hofgesindt, Dogma'n, Pro Art, Ergo, Dolly Bastards u.v. andere.

Für die Zukunft wünsche ich dem Kasseturm eine wieder mehr belebte Kleinkunst und ich glaube auch das wieder mehr junge Leute auf Hand-gemachtes neugierig geworden sind und die Jazzsessions der Musikstudenten in der letzten Zeit, zeigen, das sich einiges bewegt.

PS: Zum Clubfasching 1988 lernte ich hier auch meine große Liebe kennen, deren Bruder Ritchie in

der damaligen Turmmanschaft arbeitete und unsere gemeinsame Tochter Franca ist mittlerweile selbst Gast im Kasseturm. Insoweit kann ich wohl wirklich sagen das der „Dicke“ mich begleitet und ich ihn. Ich wünsche dem Kasseturm und all seinen Freunden alles Gute für die nächsten 50 Jahre.