Der Blues hat mich immer noch...

von Michael Roetsch

(Die ungekürzte Version, welche für das Buch „Das Blaue Wunder – Blues aus deutschen Landen" geschrieben wurde.)

Ich glaube es war 1978, als ich damals ein 14-jähriger Pubertierender war und das erste mal ein Blueskonzert in einem Weimarer Ausflugslokal besuchte und was ich da erlebte, ließ mich niemals wieder los. Der Blues hatte mich oder anders ausgedrückt ich hatte den Blues. Hatte ich vorher die Rocklegenden um Deep Purple, Led Zeppelin und Queen verehrt, so war das eine Sache, diese waren Giganten aus dem Westen. Hier aber stand eine Band auf der Bühne, welche hier aus dem Osten, ja sogar aus meiner Stadt stammte. Die Gruppe nannte sich Frachthof und wurde zu einer meiner Lieblingskapellen. Diese Musiker waren keine Stars, wie John Lord, Jimmy Page oder Brian May, nein das waren junge Amateurmusiker und die spielten wildes schnelles Zeug, aber auch traurige Balladen, dann wieder treibenden und stampfenden Rock'n Roll. Doch an diesem Tag erfuhr ich, das dies der Blues war, aus dem erst später der Rock'n Roll entstand. Ich war völlig hin und weg von dem, was man den Blues nannte und dann waren da auch noch diese Leute, die in Thälmannjacken, Schellparkas, Kletterschuhen, Jesuslatschen, Bluejeans, Wickelkleidern oder auch dem so berühmten Fleischerhemd den so genannten Segelfliegertanz zelebrierten. Das war eine völlig neue Welt für mich und bald schon wurde mir klar, dies war eine andere Jugendkultur, die der Staat und die FDJ für uns vorgesehen hatte. Hier handelte es sich um eine geschworene Gemeinschaft, die sich nicht alles vorschreiben lassen wollte. Sehr schnell fand ich hier auch neue Freunde, mit denen ich an vielen Wochenenden los zog, um Bands wie Frachthof, Knuff, Onkel Tom, Pro Art, Traveling Blues und Jürgen Kerth zu hören. Das war ein andauernder Wochenend-woodstock-zustand. Zu den Auftrittsorten, meistens Dorfgasthöfen in ganz Thüringen und später dann auch in der ganzen DDR, gelangten wir mit dem Bus oder der Deutschen Reichsbahn. Doch viel öfter kamen wir per Anhalter zu den Blueskonzerten nach Wandersleben, Ballstedt, Bad Berka; Dingesltedt oder Uder, um nur einige Orte in Thüringen zu nennen, es gab noch etliche Dörfer mehr, wo der Blues lebte. So wie meine Haare wuchsen, so prägten sich mir Namen von amerikanischen und englischen Bluesmusikern. ein. Da waren Muddy Waters, Canned Heat, Robert Johnson, John Mayall, Otis Rush, Freddie King und John Lee Hooker. In der Woche, die eine viel zu lange Unterbrechung zwischen den Samstagen war, versuchte ich per Kassettenrekorder von älteren Bluesfans und Bluesmusikern Plattenaufnahmen all dieser wunderbaren Künstler zu überspielen. Und ich fing an Schallplatten zu sammeln. Dies war nicht immer einfach, da die meisten Bluesscheiben nicht vom staatlichen Plattenlabel „Amiga“ zu haben waren, also musste die bucklige Westverwandtschaft mobilisiert werden, diese kostbaren Vinyls per Paket oder per Besuch in unser kleines abgeschlossenes Land zu bringen. Doch man muss auch fairer weise sagen, das die obersten Kulturwächter einiges an Bluesmaterial zu ließen. So gab es die heiß begehrte Reihe „Blues-Collection“ und einige Einzelplatten von Bluesstars im Plattengeschäft zu kaufen, allerdings nach sehr langen „Schlange“ stehen und vorausgesetzt man hatte einen Tip bekommen, das eine neue Lieferung von Lizenzschallplatten eingetroffen war, oder man hatte das große Los gezogen, jemanden vom verehrten Verkaufspersonal zu kennen. Etwas Glück brauchte man also schon. Natürlich hatten sich die Damen und Herren im Kulturministerium der DDR auch etwas dabei gedacht, uns Fans so großzügig mit Bluesmusik zu versorgen. Der Blues und seine Geschichte war eine willkommene politische Polemik Da war auf der einen Seite der US-Aggressor und ehemalige Sklaventreiber und auf der anderen Seite die kleine freiheitsliebende solidarische DDR und der ausgebeutete schwarze Bluesmusiker und Ex-Sklave. Ob dieses Klischee und all zu sehr schwarzweiss gemalte Feindbild wirklich bei uns gegriffen hat, muss man mich nicht fragen.

Immer öfter schauten meine Freunde und ich auf die Finger der Gitarristen, der Bassisten und Schlagzeuger und der Wunsch wurde zum absoluten Gedanken. Wir wollten auch einmal so spielen können, wir wollten Musiker werden, eine eigene Bluesband gründen. Gegenseitig brachten wir uns etwas auf der Gitarre bei, die ich mir bei meiner älteren Schwester für immer und ewig ausborgte.

Diese Gitarre war so eine Art Wanderklampfe, also nicht eine „Stratocaster“ oder „Gibson“. Davon konnten wir nur träumen. Die „Iris“ von „Jolana“, eine tschechische Telecasterkopie hätte mir schon gereicht, aber die war schwer zu bekommen. Da half alles nichts, die Wanderklampfe meiner Schwester bekam einen Tonabnehmer und mein Freund Andreas Örtel kaufte dem Bassisten von Frachthof einen alten Basshobel ab, zwei alte Röhrenradios fanden sich auch noch und einen Schlagzeuger dazu. Unsere erste Bluesband war geboren. Der Name war natürlich äußerst wichtig und wenn ich ganz ehrlich sein soll, war dieser wichtiger als unser musikalisches Können, aber das war halt so und wir waren jung und voller Enthusiasmus und das mit der Musik würde auch noch klappen. Wir nannten uns die Ilmgaukler, aus heutiger Sicht ein ziemlich blöder Name, aber wir kamen nun halt mal aus der Stadt Weimar an der Ilm. Den Gedanken, die zwei richtig großen Heros von Weimar für unsere Band zu nutzen, hatten wir erst später. Wir hätten uns „Goethes Enkel“ nennen sollen und tatsächlich gab es später einmal für sehr kurze Zeit das Bluestrio Schillers Söhne. Es erschienen natürlich neue Freunde mit anderen Instrumenten und alte Freunde verabschiedeten sich, also der natürliche Verlauf beim Aufbau einer richtigen Band. Irgendwann um 1981, so glaube ich mich zu erinnern, gingen wir auf ein Konzert der sehr jungen, aber schon sehr guten Bluesband „Elena“, welche aus Bad Berka kam und deren Sänger und Gitarristen wir neidvoll um sein großes Talent bewunderten. Wir gierten und bestaunten den kraftvollen und sensiblen Blues dieser Gruppe, doch wir waren schon zu sehr mit dem Bluesvirus infiziert und so kam das, was kommen musste, wir fragten die Jungs, ob wir in einer ihrer Pausen einmal spielen dürften, und dann durften wir tatsächlich. Doch was da von uns von der Bühne erklang, war ein Fiasko, wir waren viel zu aufgeregt und einfach noch nicht so weit, es war eine Katastrophe für die Ohren des Publikums und für unsere Seelen. Aber es hatte auch sein Gutes, wir wussten nun ganz genau, das nur noch üben, üben, üben angesagt war. Und dann war es soweit, so um 1983 hatten wir eine gute Besetzung für eine neue gute Bluesband. Wir bereiteten uns für die Einstufungskommission und unser Publikum vor. Dabei unterstützte uns der Gitarrist und Harpspieler von „Knuff“, dessen Gruppe war ja auch einer unserer Vorbilder. Wolfram Schröter gab uns dann wirklich wertvolle Tips, die wir dann im Januar 1984 anwenden konnten und so erhielten wir die benötigte Spielerlaubnis von dieser Kommission, in der auch der Gitarrist von Frachthof Helmut Pötsch saß, dem wir ebenfalls viel zu verdanken haben, da er sich für unsere Einstufung stark gemacht hatte. Denn der Name unserer Band sorgte für einiges Unbehagen bei den Kulturhütern. Wir nannten uns Mob. Nach dem Duden stand das für Franzenbesen, aber mit einem (p) stand das für Aufruhr. Doch unsere langen Haare sahen eben nun mal so aus wie Franzenbesen, klar war das für uns ein kleines Buchstabenspiel, aber gegen den Duden konnten selbst die Staatswächter nichts machen. Nun durften wir endlich raus auf die Straßen und Bretter die den Blues bedeuten. Im alten geborgten Skodakombi und anderen üblen Kisten befuhren und bespielten wir die Dörfer und Städte in Thüringen. Wir hatten auch einen richtigen Fanclub, der uns nach reiste, so wie wir es vor nicht all zu langer Zeit noch selbst getan hatten. Im Laufe der Jahre stieg der eine oder andere Freund aus der Band aus und so entstanden neue Projekte und Gruppen. Persönliche Höhepunkte waren für mich die besagte Band Mob, welche sich mit Muddy Waters, T. Bone Walker, Canned Heat aber auch mit Carlos Santana und vor allem eigenen Stücken beschäftigte. Unsere Besetzung bestand aus zwei Gitarren, einen Bass, Piano und Schlagzeug. Später dann war es das Projekt Hofmeister, in der Musiker von Wilder Wein und Johannes Yamer Trio spielten. Hier waren neben den Blues auch Stilistiken wie Jazz und Rock angesagt. Stücke wie School Days von Stanley Clarke, Who's Right, Who's Wrong von The Blues Band und Sex von Frank Zappa verschmolzen zu einen experimentellen Projekt. Eine schöne Episode möchte ich nicht unerwähnt lassen, es gab ja so viele, aber diese ist mir jeden Tag in Erinnerung. Im Herbst 1987 war unsere Band Hofmeister im Rahmen des Jazzfestival Nordhausen eingeladen, um im Anschluss eines bedeutenden Konzert wirklich bedeutender Jazzgrößen unserer Republik im kleinen aber äußerst gemütlichen Club „Zur schönen Aussicht“, die Aftershowparty mit zu gestalten. Dieser Club hatte zwei Etagen. Wir oben und die Potsdamer Band Handarbeit in Parterre. Dort war auch ein Buffet für die Jazzstars aufgebaut. Allerdings interessierten sich die etwas müden Jazzkollegen sich nicht so sehr für den wirklich guten Blues der sie unterhalten sollte und das war nicht sehr angenehm für die dort spielenden Musiker. Irgendwann, ich weiß es nicht mehr genau, ich glaube es war so gegen 22.30 Uhr, kamen die Musiker von Handarbeit mit ihren Instrumenten zu uns herauf und stiegen einfach mal bei uns ein. Was jetzt kam, war eine der schönsten Session, die ich je erlebt habe. Unten in Parterre war mittlerweile niemand mehr außer den Jazzmusikern und dem leeren Buffet. Doch oben ging die Post ab, als dann noch ein Bläsersatz vom Jazzclub Nordhausen um Dieter Gabriel die Bühne betrat, brannte die Luft und zwar geschlagene acht Stunden am Stück. Ich glaube, hier fand eines der längsten und schönsten Konzerte in der damaligen kleinen Republik statt. Die damals dabei gewesen waren, erinnern sich noch heute an diese Bluesnacht von Nordhausen. Dieter hatte 1997 die Idee, diese Nacht noch einmal aufleben zu lassen, aber es kam leider nicht zustande. Doch wie heißt es so schön, bestimmte Dinge sind einfach nicht zu wiederholen, oder doch?

Durch einige Probleme, welche ich mit dem Staat hatte, meine totale Wehrdienstverweigerung machte es beiden Seiten nicht unbedingt leicht, mit einander gut aus zu kommen, war ich gezwungen auf Abwege zu kommen und für eine Weile den Blues als solchen zu verlassen. Doch schon im Frühjahr 1989, ich glaube es war der 28. Mai spielte ich mit der Band The Duke of Prunes auf dem 12. Bluesfestival in Bad Berka. Oh Mann, wie waren wir stolz, einmal auf diesen legendären Bluesfestival in der kleinen Kurstadt unweit von Weimar dabei sein zu dürfen. Allerdings verschwand dieses wunderbare Festival wie so vieles nach der Wende, doch seit 2007 gibt es dieses Bluesfestival am Originalschauplatz wieder und es lässt sich gut an, es wird zwar wahrscheinlich nie mehr das ganz große Event, aber es ist jetzt schon ein kleines und feines Festival. Und so zeigt sich wieder einmal, der Blues ist nicht Tod zu reden. Natürlich sind einige hier erwähnte Bands von der Bildfläche verschwunden, doch einige haben überlebt und neue Gruppen sind dazu gekommen. Mit Bullfrog-Blues, einer Band die sich dem Texas & Chicago Blues widmete, spielte ich fast zehn Jahre lang zusammen. Unsere Vorbilder hier waren solche Ausnahmemusiker wie Albert Collins, Buddy Guy, Luther Allison und Freddie King. Durch die enge Zusammenarbeit mit Volker Albold, hatten wir die Möglichkeit einige Bluesstars zu begleiten, was für mich persönlich sehr schöne sowie wichtige Momente eines Musikerlebens darstellen. 2004 gründeten wir die Band Dogma'n und sind wie immer in Sachen Blues unterwegs. Mit dieser Band habe ich auch wieder zur deutschen Sprache zurück gefunden, die durchaus sehr reizvoll für den Blues ist. Ich denke hier sehr an Wolfram Bodag von Engerling und Udo Wolff vom Dritten Ohr. In dieser langen Zeit hatte ich auch die Ehre auf einigen großen Bluesfestivals im In- und Ausland auftreten zu dürfen und dabei einige wirklich große Bluesstars kennen zu lernen. Für mich waren die Begegnungen mit Michael Roach, Loisiana Red, Johnny Mars, Randy Mc Allister, Taj Mahal und Luther Allision, welcher viel zu früh verstarb von großer Bedeutung. Ein weiterer Höhepunkt für mich war, das die irische Jim Armstrong Band mich für ihre letzte Tour 2005 als Sänger einkaufte. Diese wunderbaren Erfahrungen verdanke ich nicht zu letzt auch Musikern, die mir als Sänger immer Vorbild waren, hier möchte ich unbedingt Jürgen Postel von Frachthof, Peter Schmidt von Handarbeit, Walter Geyer von Pro Art und Waldi Weitz von Ergo nennen. Was gibt es noch zu sagen, nur, das der Blues mich immer noch hat.